Freitag, 10. März 2017
30 The March Violets “Walk Into The Sun”
Dienstag

Es ist schon früher Nachmittag als wir aus dem Bett krabbeln. Keine Ahnung, wann wir zuhause waren. Was für eine grandiose Party.
Pete und ich haben gestern Judith gebeten, quasi schon am Vortag unsere Krankmeldung entgegen zu nehmen. Wir hätten da jeweils so ein Gefühl, dass es uns am nächsten Morgen nicht gut gehen würde. Sogar nicht nur nicht gut, sondern wirklich richtig schlecht, so dass wir nicht aufstehen könnten um zu telefonieren. Sie hat genickt und dann gesagt, dass, wenn die Helden in den Sonnenuntergang reiten müssen, sie sich nicht weigern könnte, die Steigbügel zu halten. Wir haben das dann als eine klare und deutliche Zustimmung zu unserem Anliegen interpretiert.
Die „If I Die ... I Die“ von den Virgin Prunes läuft. Ein wirklich unglaublich gutes und unglaublich schräges Album: Luz behauptet immer, dass sie das nicht mag. Dafür hört sie aber ganz schön intensiv zu und wippt ordentlich mit.
Vorhin hat der Captain eine Nachricht rumgeschickt. Wir sollten mal einen Blick auf WAZ-Online werfen, da gäbe es einen interessanten Artikel zu lesen. Und in der Tat, den gibt es.
Heute Vormittag haben die Sheriffs einen anonymen Tipp erhalten und sind diesem nachgegangen. Und dann haben sie ein hochrangiges Mitglied der Stadtverwaltung, welches gleichzeitig ein sehr ambitionierten Lokalpolitiker ist, im Rathaus eingesammelt. Natürlich wird kein Name genannt. Natürlich weiß trotzdem fast jeder sofort, um wen es da nur gehen kann. Da hat der gute OB aber ganz schnell Nägeln mit Köpfen gemacht und den aufmüpfigen Emporkömmling ganz schnell entsorgt. Er mich pampig, ich ihm gleich in die Fresse.
Es klingelt. Wir erwarten niemanden. Zumindest ich erwarte niemanden. Luz erwartet hingegen wohl doch vielleicht jemanden, denn sie hüpft von der Couch hoch.
Tür auf. Luz raus. Tür zu.
Sie hat keine Wort gesagt. Weder jetzt, noch vorher. Durch den geriffelten Glaseinsatz der Tür sehe ich, dass sie mit jemandem im Flur spricht. Keine Ahnung mit wem, ich sehe nur Umrisse.
Tür auf. Luz wieder rein. Aber nicht nur sie.
Hinter ihr betritt ein Mann den Raum. Der Typ ist ein paar Jahre jünger als ich . So um die vierzig. Südeuropäer. Also wahrscheinlich Spanier. Also wahrscheinlich Katalane.
„Das ist mein Cousin Rodrigo. Roddie.“
Seit ich Luz kenne, habe ich meine Fremdsprachenkenntnisse etwas erweitert. An unserer VHS kann man leider kein Katalanisch lernen. So ist Katalanisch immer noch etwas, was ich nicht verstehe. Aber ich konnte Kurse in Kastilisch besuchen, die hier aber unter dem Begriff Spanisch angeboten werden. Dass das so ist, darum hat Franco sich als guter Unterdrücker seiner Völker damals sorgfältig gekümmert. Kastilisch war seine Sprache, also hat er kurzerhand mal eben alle anderen, und das sind schon einige, verboten.
„Ola, buenas tardes. Me llamo Waller. Que tal?”
“Gracias. Muy bien. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Aber ich bin hier im Ruhrgebiet aufgewachsen.“
Während wir so ein bisschen verbal plänkeln, beginne ich mich ernsthaft zu fragen, was der wirkliche Grund seines Besuches ist. Ich denke nicht, dass er gerade heute zufällig in der Gegend gewesen ist und sich dann gedacht hat, da schelle ich doch mal bei meiner Cousine an.
Ein kurzer, aber intensiver Blick zu Luz bestätigt mir das. Sie denkt darüber nach, wie sie das Gespräch dahin lenken kann, wo sie es hin haben will. Dann holt sie den Laptop unter dem Tisch hervor, klappt ihn auf und fährt ihn hoch. Das Einzige, was man jetzt hört, sind die Geräusche der Festplatte. Luz schweigt, Roddie sagt nichts und ich bin ganz still.
Zu meiner Überraschung öffnet Luz dann den Blog der Sprayer. Zu meiner Überraschung gibt es einen neuen Eintrag von heute. Zu meiner Überraschung zeigt je ein Blick zu Luz und Roddie mir, dass sie darüber nicht überrascht sind. Das überrascht mich dann erst so richtig. Also beginne ich mir Gedanken zu machen. Das dauert aber nicht lange, dann beginne ich mir Sorgen zu machen.
Luz öffnet den neuen Eintrag und wir gucken uns die drei Bilder an, die es dort gibt. So richtig glauben kann ich nicht, was ich da sehe, aber so was in der Art ist in den letzten Wochen regelmäßig passiert. Ich habe inzwischen eine gewisse Übung darin, aber ich habe mich längst noch nicht daran gewöhnt. Nicht im Ansatz. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich da überhaupt dran gewöhnt sein möchte.
Auf den Bildern ist ein Auto zu sehen. Ein Auto in einer Garage. Ich glaube, den Wagen wiederzuerkennen. Den habe ich gestern vor der Sparkasse gesehen. Und der Buchstabe auf dem Nummernschild bestätigt meinen Verdacht. Das S steht für Seelmann. Allerdings hat sich die schwarze Luxuskarre seit gestern etwas verändert. Sie ist quasi gepimpt worden.
Auf beiden vorderen Türen und der Motorhaube ist jeweils ein richtig großes, einzelnes V und darunter in kleineren Buchstaben ein VOD zu sehen. In Weiß. Wegen dem Kontrast. In Schablonenschrift. Wie es sich gehört.
Irgendwas stimmt aber nicht. Eumel und der Rest von den „Dead Drivers“ waren gestern im „Mercy Seat“ auf der Party. Und sie waren lange da. Und sie waren blau. Hackendicht. Die können das eigentlich nicht gewesen sein. Und ich glaube auch nicht, dass Stefanie an den Schlüssel von der Garage vom Seelmann kommen kann.
Die Zeichen hat jemand anderes gemacht. Mein Blick geht zu Roddie und der Groschen fällt. Luz liest in meinem Gesicht, dass ich die Zusammenhänge erkannt habe. Sie strahlt mich an, so wie sie nur mich anstrahlt. Sonst niemanden. Warum auch immer gerade mich.
In ihren Adern fließt revolutionäres katalanisches Blut.
Roddie merkt, dass ich mir seine Tattoos auf den Oberarmen ansehe. Er schiebt die Ärmel höher, damit ich alles erkenne kann. Links das Zeichen der CNT, rechts das Bild von Buenaventura Durruti.
Auch in seinen Adern fließt revolutionäres katalanisches Blut.
Der Kreis schließt sich.
Roddie hat sich damals Zugang zum Büro von Seelmann verschafft und dort das erste VOD-Zeichen hinterlassen. Jetzt hat er sich Zugang zur Garage von Seelmann verschafft und die letzten VOD-Zeichen hinterlassen.
Der Kreis ist richtig schön rund. So wie es sich für einen guten Kreis gehört.
„Wenn ich endgültig aus dem Knast bin, könnte ich mich hier in der Stadt niederlassen. Das Klima gefällt mir.“
Ein Gefühl sagt mir, dass es in Zukunft auf jeden Fall nicht langweilig wird.

Und das Gefühl sagt es wirklich sehr laut.

***
ENDE

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