Montag, 27. Februar 2017
27 The Rose Of Avalanche “Everythings OK”
Samstag

Direkt nach dem Aufstehen habe ich versucht Pete anzurufen. Wir müssen uns unbedingt treffen, ich muss ihm von gestern erzählen. Eve ist definitiv wieder in der Stadt und sie wird bleiben. Daher werden die Karten jetzt neu gemischt. Das heißt aber nicht, dass man danach ein besseres Blatt hat und im Skat noch zwei Bauern liegen. Kann passieren, muss aber nicht.
Aber ich habe ihn nicht erreicht. Nicht übers Festnetz und das Handy war komplett aus. Der gewünschte Teilnehmer ist momentan nicht erreichbar. Gerade eben habe ich es noch einmal versucht, aber das Ergebnis bleibt das gleiche. Kein Pete zu erreichen.
Luz und ich sitzen im Cafe und haben uns gerade zwei Schlemmerfrühstück bestellt. Bisher bin ich noch nicht dazu gekommen, ihr so richtig von gestern zu erzählen. Als ich gerade anfangen wollte, hatten wir eine Katastrophe. Luz hat Hunger bekommen, aber der Toast war schimmelig. Und eine hungrige Luz ist keine zuhörende Luz. Eine hungrige Luz ist ein Raubtier, das Nahrung will. Nicht irgendwann. Sofort.
Also ab in die Stadt und in unser Stammcafe. Dort begrüßte und verabschiedete uns ein Schild mit der Aufschrift „Geschlossene Gesellschaft“. Die eigentliche Alternative zu dem Laden liegt genau am anderen Ende der Fußgängerzone. Das war für das Raubtier zu weit. Es wollte seine Nahrung jetzt und nicht gleich. So sind wir in dem Cafe gelandet, in dem wir schon immer nur ausgesprochen selten landen. Dabei ist das Frühstück hier schon immer hervorragend gewesen.
Wir haben gerade unseren Kaffee bekommen, als Luz etwas verwundert an mir vorbei schaut. Sie hat natürlich den Platz gewählt, von dem aus sie die Tür im Auge hat. Man will ja wissen, wer kommt oder geht. Deshalb sitze ich leider mit dem Rücken zur Tür und sehe nicht, wer kommt oder geht. Offenkundig hat irgendwer in meinem Rücken ihr Interesse geweckt.
Die Neugier siegt schnell und ich schaue mir selbst über die Schulter Richtung Tür. Und ich sehe Eve, die dort steht und sich dabei total unwohl fühlt. Sie wäre viel lieber nicht hier, sondern sonst wo. Wo auch immer, aber nicht hier. Aber sie steht da wie angewurzelt und schaut mich mit ihren grünen Augen an. Es dauert etwas, bis jemand spricht. Aber es ist nicht Eve und ich bin es auch nicht. Die sprechende Stimme klingt aber kühler als ich sie kenne. Und ich kenne sie inzwischen sehr gut. Ich höre sie seit fünf Jahren eigentlich jeden Tag.
„Ich will ja nicht unbedingt stören, aber ist noch alles in Ordnung mit euch beiden?“
Die kühle Stimme bricht das Eis.
„Das war nie ein Laden, in dem wir uns rumgetrieben haben. Deshalb bin ich jetzt hier. Besser ich gehe aber sofort wieder nach hause.“
„Warte bitte.“
Sie wartet also und erwartet auch, dass ich weiter rede. Das erwartet sie zu recht und deshalb tu ich das auch .Aber noch nicht unbedingt sofort, aber bestimmt gleich. Ich schaue von Eve zu Luz. Sie liest die Frage in meinen Gesicht und schreibt die Antwort in ihres. Und dort seht dann, dass das alles ganz alleine meine Entscheidung ist. Und noch einiges mehr. Das hilft mir nicht weiter. Und es ist nicht das, was ich erwartet habe. Dann schaue ich wieder von Luz zu Eve. Und spreche dann sogar wieder.
„Stimmt. War nicht unser Laden, ist auch heute immer noch nicht unser Laden. Wir sind nur zufällig hier. Magst du dich zu uns setzen?“
Jetzt schaut sie von mir zu Luz, kann aber in deren Gesicht das Gleiche lesen wie ich vorhin.
In diesem Augenblick schießt mir durch den Kopf, dass Luz keine Ahnung hat, wer vor ihr steht. Ganz Gentleman mache ich die beiden wortreich und ausführlich, wenn auch etwas verspätet, miteinander bekannt.
„Luz. Eve.“
Mir geht durch den Kopf, wie sich anhören würde, wann man am Ende noch R ergänzt.
Luz wirft mir für meine Nachlässigkeit die Etikette betreffend quasi im vorbeigucken einen nicht nur leicht tadelnden Blick zu. Sie blinkt Richtung Eve jetzt nicht mehr ein „Mach was du für richtig hältst, aber trage die Konsequenzen, auch wenn sie wahrscheinlich fürchterlich für dich sein werden. In meinen Adern fließt revolutionäres katalanisches Blut und du bist dabei, dieses zu reizen.“ Die neue Botschaft ist viel kürzer und lautet „Ich würde mich freuen, dich kennen zu lernen.“ Eve erkennt die geänderte Aufschrift sofort.
„Danke, mache ich gerne.“
Und dann sitzt sie da. Und wir sitzen auch da. Und das Trio schweigt sich ein weinig an. Der Zustand hält aber nicht lange an, dann quatschen die beiden fröhlich miteinander. So, als würden sie sich schon ewig plus minus drei Tage und nicht erst seit gerade kennen. Mich überrascht das nicht, mir war klar, dass die beiden auf der selben Welle reiten, dazu kenne ich alle zwei gut genug. Im Prinzip bin ich überflüssig, aber das stört mich nicht. Ich nutze die Zeit, um ein wenig nachzudenken, auch wenn nicht viel dabei rum kommt. Mit einem Ohr höre ich aber zu, sicher ist sicher. Wir genießen unser Frühstück.
Eve haut dann ab. Sie hat noch viel mit ihrem Umzug zu tun. Luz kritzelt ein paar Zahlen auf einen Zettel.
„Das ist meine Nummer. Wenn die dir bekannt vorkommt, liegt das daran, dass das eigentlich seine ist.“
Dabei wedelt sie mit den Händen in meine Richtung. Eve wirft einen Blick auf den Zettel, nimmt ihn aber nicht in die Hand.
„Ich kenne die Nummer. Auch immer noch auswendig. Die ist bei mir gespeichert. Alle Nummern sind noch hier oben gespeichert, ich habe keine vergessen.“
Beim letzten Satz tippt sie sich mit dem Finger an die Schläfe. Dann ist sie weg. Luz und ich sind wieder allein. Sie grinst mich an.
„Eine tolle Frau. Wir werden viel Spaß haben. Sie wird Schwung in den Laden bringen.“
Vor meinem geistigen Ohr lasse ich das Gespräch der beiden noch einmal im Schnelldurchlauf ablaufen. Dann schaue ich sie fragend an.
„Ich kann dir gerade nicht folgen. Habe ich was verpasst?“
„Warte ab. Du wirst schon sehen.“
Sie erstickt weitere Worte von mir mit einem langen Kuss. Ich füge mich in dieses grauenvolle Schicksal.

Pete sitzt bei uns zuhause auf der Treppe vor der Tür. Und das bei dem Wetter . Es ist ziemlich kalt. Er sieht vollkommen müde und durchgefroren aus. So als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass er die ganze Nacht nicht geschlafen hat. Und ich bin sicher, ich werde auch gleich erfahren warum.
Dabei wollte ich doch eigentlich ihm etwas erzählen. Etwas, das bei ihm zu schlaflosen Nächten führen könnte. Ich werde es ihm auf jeden Fall erzählen, weil ich es muss. Er muss das wissen. Damit er vorbereitet ist. Auf etwas, auf das man nicht vorbereitet sein kann. Weil es kommt, wie es kommt. Und dann ist es da. Dann muss man damit irgendwie klar kommen.
Er wirkt erleichtert als er uns auftauchen sieht, wer weiß wie lange er da schon sitzt.
„Warum bist du nicht ans Telefon gegangen? Warum hast du nicht angerufen?“
„Akku leer.“
Wir gehen hoch und ich mache uns Kaffee. Luz will uns alleine lassen, aber Pete winkt sie zurück und gestikuliert vage in meine Richtung.
„Alles was ich diesem Typen da erzähle, kann ich dir auch erzählen. Bleib ruhig hier.“
Sie setzt sich zu ihm an den Tisch. Ich mache noch am Kaffeeautomaten rum und suche dann nach einer passenden CD. Aber passend wozu? Ich weiß ja nicht, was ihn hierher getrieben hat. Aber ich weiß, was ich ihm erzählen muss. Auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich es ihm erzählen soll. Dann entscheide ich mich für die „Paint Your Wagon“ von Red Lorry Yellow Lorry. Eine gute Mischung aus Power und Schwermut.
Dann stelle ich die drei heißen Kaffee auf den Tisch und setze mich zu den beiden. Pete legt sofort seine kalten Hände um die Tasse. Er schaut uns an, wir schauen zurück. Er ist noch nicht so weit. Also geben wir ihm die Zeit, die er braucht. Er nimmt sie sich, ehe er dann anfängt.
„Waller, ich habe gestern Eve gesehen. Auf dem Heimweg bin ich bei Snake vorbei gekommen und sie stand an der Straßenecke. Und das war sie, kein Zweifel, auch wenn du es nicht glaubst.“
Und wie ich ihm glaube. Schon alleine aus dem Grund, weil er ja Recht hat. Ich habe sie gestern auch gesehen. Bei Snake. Und vorher schon in der Stadt und gerade im Cafe.
„Müsste dann ja so gegen halb sechs gewesen sein.“
Pete starrt mich an. Er hat bestimmt mit allen möglichen Reaktionen gerechnet, aber nicht mit der. Da er total sprachlos ist, rede ich weiter.
„Deshalb versuche ich dich ja auch schon die ganze Zeit zu erreichen. Ich war gestern bei Snake und gegen halb sechs ist sie da aufgetaucht. Einfach so. Ohne Ankündigung. Es klingelt und sie war dann da. Wie ein Djinn aus der Pulle. Nur ohne Rauch.“
Pete starrt mich weiter an. Er fängt an den Kopf zu schütteln und hört auch erst mal gar nicht mehr damit auf. Ich mache mir ein bisschen Sorgen, dass sich da was lose rappelt. Und wer weiß, was dann womöglich passiert. Er stellt das Kopfschütteln aber doch rechtzeitig ein, ehe es zu folgenschweren Schäden führen kann. Ich bin erleichtert.
Dann erzähle ich ihm von gestern. Ganz ausführlich. Bis ins Detail. Alles, was sie gesagt hat. Und von den Tränen. Von allem halt. Es dauert, bis ich damit fertig bin. Dann sitzen wir schweigend da. Pete beginnt wieder mit dem Kopfschütteln und ich mache mir wieder die Sorgen. Dann setzt er sich ganz aufrecht hin.
„Sie hat nichts über mich gesagt?“
Nein, hat sie nicht. Kein Wort. Kein gutes, kein schlechtes. Keins. Null. Nada. Nothing. Niente.
Aber ich habe gestern erst ihr und dann auch Snake zugehört. Und ich habe es begriffen. Wie sie ist. Wie wir alle sind, waren und nach Möglichkeit immer sein werden.
„Wir reden nicht über Menschen, wir reden mit Menschen. So sind wir. So ist Eve. So ist Luz, so bist du, so bin ich. Deshalb hat sie gestern mit uns geredet. Und deshalb hat sie nicht mit uns über dich geredet.“
Pete starrt mich jetzt wieder an. Er lässt sich das, was ich gesagt habe, ganz genau durch den Kopf gehen. Wort für Wort. Buchstabe für Buchstabe. Leerzeichen für Leerzeichen. Und am Ende stellt er eine Frage. Nicht laut, dass muss er gar nicht, denn Luz und ich wissen auch so, dass er sich jetzt fragt, ob sie denn auch mit ihm reden wird.
Er sieht mich fragend an, aber ehe er ein Wort raus bringt, schüttele ich bereits den Kopf.
Pete brütet vor sich hin. Luz und ich verhalten uns ganz ruhig, wir wollen ihn dabei nicht stören. Er wird was sagen, wenn er wieder was zu sagen hat. Dann guckt er mich an.
„Hast du ihre neue Nummer?“
Habe ich, also nicke ich. Bevor er weitersprechen kann, krame ich schon nach meinem Handy.
„Bist du sicher?“
Er zuckt nur mit den Schultern und verzieht das Gesicht. Natürlich ist er sich nicht sicher. Deshalb antwortet er auch nicht auf meine eigentlich vollkommen überflüssige Frage. Er ist sich aber sicher, dass ich mir sicher bin, dass er sich nicht sicher ist. Aber unter alten Freunden ist das total egal. Ich schicke ihm die Daten. Luz schaut ihn an und sagt ihre ersten Worte seit wir zusammen am Tisch sitzen.
„Ruf sie nicht an. Sie wird zu dir kommen. So wie sie zu Snake gekommen ist. Vielleicht nicht heute, vielleicht auch noch nicht morgen. Aber sehr bald. Vielleicht aber auch schon heute. Vielleicht auch aber auch schon morgen.“
Sie sieht ihn an. Mit diesem Lächeln, mit dem sie Granit schmelzen kann. Nur irgendwie ohne dabei zu lächeln.
„Ruf sie nicht an, versprich mir das!“
Ich gebe Pete nonverbal, aber eindeutig zu verstehen, dass ich keine Ahnung habe, woher Luz das zu wissen glaubt. Aber genauso wortlos gebe ich ihm zu verstehen, dass er Luz’ Intention vertrauen soll. Das tue ich in ähnlichen Fällen auch und ich bin immer gut damit gefahren.
Luz schaut ihn weiter mit diesem Lächeln, das kein Lächeln ist, an. Und der Granit schmilzt.
„Okay, ich rufe sie nicht an.“

Luz und ich sind wieder unterwegs. Es ist bitterkalt, selbst für die Jahreszeit. Nach dem turbulenten Tag hat uns dieses Mal der Hunger auf Currywurst Pommes Mayo auf die Straße getrieben. Wir wollen zu unserem Frittentempel Nummer Eins. Die frische Luft tut uns richtig gut und wir machen deshalb einen kleinen Umweg.
An einem Haus bleibe ich stehen und lese noch einmal die Aufschrift des Schilds neben der Tür. Martina Eisenfuß. Anwältin. Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor, aber ich weiß noch nicht woher. Luz schaut erst mich und dann das Messingschild an.
„Was ist? Warum bleibst du stehen? Ich kenne die, ist eine Kundin. Eigentlich auch ganz nett.“
„Ich glaube, Nick hat den Namen mal erwähnt. Das war wohl in der Sache mit Holger und seinen Erben.“
Wir wollen gerade weiter, als sich die Haustür öffnet. Eine recht aufgemotzte Frau knapp über fünfzig kommt raus. Anwälte arbeiten scheinbar auch am Samstag lange. Sie registriert uns und macht tatsächlich ein erfreutes Gesicht.
„Lucia. Gut, dass ich dich treffe. Dich schickt der Himmel. Wir müssen unbedingt einen Termin machen.“
Lucia. Ich bin irritiert. Es passiert fast nie, dass jemand Luz Lucia nennt, auch wenn das ihr wirklicher Name ist. Die Frau schüttelt ihr die Hand und wendet sich in meine Richtung. Ihre Hand auch. Ich greife zu. Wer weiß, wofür es gut ist.
„Du musst Waller sein. Ich bin Martina. Wollt ihr auf einen Kaffee mit rauf kommen? Dann können wir auch nach einem Termin gucken.“
Luz nickt und wir latschen hinter ihr her. Der Hausflur macht schon ganz schön was her, aber die Büroräume toppen das noch deutlich. Luxuskategorie. Der Kaffeeautomat sieht aus, als gehöre er eher in eine große Bar in Rom.
„Latte Macchiato?“
Wir nicken. Das Teil mach einen Höllenradau, aber kurz danach stehen die Gläser vor uns auf dem Tisch. Wenn das schmeckt, wie es aussieht und riecht, wird es lecker.
Luz und Martina suchen und finden einen Termin in der nächsten Woche und diskutieren jetzt, was denn so gemacht werden soll. Der Kaffee schmeckt toll. Ich bin etwas gelangweilt und blicke mich um. Alls sehr schick, Ich hänge ziellos meinen Gedanken nach. Einfach so. Bis mich Luz Stimme in die Welt zurück holt.
„Du hast doch damals was mit dem Testament von Holger Schäfer zu tun gehabt. Ist schon was her. Kannst du dich daran erinnern?“
Luz hat die Frage geschickt gestellt. Martina schaut erst überrascht wegen des plötzlichen Themenwechselns, fängt dann aber an zu lachen.
„Und ob ich mich daran erinnern kann. Das war schon irgendwie witzig, was sich der Typ da ausgedacht hat. Da waren schräge Klauseln drin, um seinen Erben ein wenig den Spaß zu vermasseln.“
Sie nimmt einen Schluck Kaffee. Wir warten ab. Luz hat ihr ganz spezielles Lächeln eingeschaltet. Wirkt bestimmt auch bei Advokatengranit. Wirkt bei fast jedem Granit.
„Seine beiden Blagen haben sich ja schon immer gehasst und tun das bestimmt heute noch. Das einzige von Wert, was es zu erben gab, war ja das Doppelhaus. Und davon haben beide je eine Hälfte bekommen. Und dann kamen die Klauseln. Wenn einer nicht mehr da wohnt, geht das ganze Haus an den anderen. Wenn einer vermietet, geht das Haus an den anderen. Wenn einer verkauft, geht der Erlös an den anderen. Die beiden sollten da wenig Freude dran haben.“
Wir lachen jetzt alle drei. Holger Schäfer hatte wohl eine bestimmte Art von Humor. Das alles erklärt zumindest die Eigenartigkeiten rund um die Hütte der beiden Halbgeschwister.
„Da war aber noch etwas. Das hatte irgendwas mit dem Vertrag mit dem Gewerkschaftshaus zu tun.“
Sie hat unsere volle Aufmerksamkeit. Und irgendwie sogar noch mehr. Wir hängen an ihren Lippen und warten angespannt auf die nächsten Worte.
„Es gab da noch eine weitere Klausel. Ich komme aber nicht drauf, ich muss nachgucken gehen.“
Weg ist sie. Wir sind allein im Raum und schauen uns fragend an. Schweigen. Es gibt gerade für uns absolut nichts zu sagen. Abwarten und Kaffee trinken.
Martina kommt zurück und blättert in einer Akte.
„Ah, hier. Wenn die den Pachtvertrag für das Gewerkschaftshaus beenden, solange da noch die Kneipe von Helmut Pozigalla drin ist, geht das Doppelhaus an den.
Luz schüttelt den Kopf und beginnt zu kichern. Ich bin nicht sicher, ob ich das richtig gescheckt habe. Deshalb frage ich nach. Ich will es noch einmal hören. Um ganz sicher zu sein.
„Wenn die den Pachtvertrag mit der Stadt beenden, dann geht, die Hütte an Nick?“
Martina schaut mich fragend an.
„An Helmut Pozigalla?“
Jetzt nickt sie.
Jetzt brechen bei mir alle Dämme. Hysterische Heiterkeit.
Als bei uns langsam wieder Ruhe einkehrt, erzählt Luz ihr, dass wir Nick kennen und dass es da ganz leise Gerüchte geben würde, dass die den Vertrag kündigen wollen. Martina schaut uns an.
„Wenn die den Vertrag beenden, kann euer Nick sich quasi als Entschädigung das Doppelhaus nehmen. Er muss nur den Antrag stellen. Was er aber vor heute wohl nicht gemacht hätte, auch wenn die den Vertrag beendet hätten. Aus dem einfachen Grund, dass er davon nichts gewusst hat, denn dieser Nick war nicht bei der Testamentsverlesung, obwohl er eingeladen war. Verschickt werden sollte das Testament nach der Verlesung an niemanden. Auch eine Klausel. Wer sich nicht die Mühe macht, dahin zu gehen, braucht auch nichts erfahren.“
Wenn wir schon in den Genuss einer kostenlosen Rechtsberatung kommen, können wir das auch nutzen. Zumindest ich habe noch Klärungsbedarf.
„Du kennst doch diese Pachtverträge. Wie können die denn überhaupt beendet werden? Könnte die Stadt den auch kündigen?“
Maritina blättert ein wenig in den Papieren, ehe sie antwortet.
„So einfach ist das nicht. Diese Art Vertrag wird ja gemacht, damit beide Seiten für eine lange Zeit Sicherheit haben. Die können im Prinzip nur im gegenseitigen Einvernehmen beendet werden. Einseitig geht das nur, wenn die andere Seite sich zum Beispiel vertragsverletzend verhält.“
Sie wirft noch kurz einen Blick auf eine Seite in der Akte.
„Aber die Klausel im Testament ist sehr sauber. Egal wie und warum der Pachtvertrag beendet wird, wenn es die Kneipe von Nick noch da gibt, bekommt er das Haus. Keine Alternative.“
Wir bedanken uns für alles. Raus in die Kälte. Luz reicht mir ihr Handy, während ich noch meine Taschen vergeblich abklopfe.
„Nimm meins.“
Es klingelt. Abwarten. Lauschen.
„Nein, nicht Luz. Ich bin’s Waller. Wo bist du? Zuhause oder schon im „Mercy Seat“?“
„Im Großmarkt an der Kasse. So in zwanzig Minuten bin ich im in der Kneipe.
„Wir auch. Bis gleich.“
Ich lasse ihn erst gar keine Fragen stellen und beende das Gespräch. Zwanzig Minuten. Das war es dann wohl mit Frittentempel. Essen wird sowieso maßlos überschätzt. Wir marschieren zügig los. Das hilft auch gegen die Kälte. Macht aber auch noch mehr Hunger.

Fast zeitgleich mit Nick treffen wir am „Mercy Seat“ ein und helfen ihm schnell beim Ausladen. Kati ist auch da. Das trifft sich gut. Als alles verstaut ist, bleibt noch eine halbe Stunde, bis der Laden geöffnet wird. Wir setzten uns an die Theke und Nick stellt uns Getränke hin. Die Gläser bimmeln.
„Warum seid ihr beide so aufgeregt, was ist eigentlich los?“
Luz grinst ihn an.
„Warum warst du damals eigentlich nicht bei der Testamentsverlesung vom Holger?“
Nick stutzt. Diese Frage hat er nun wirklich nicht auf dem Schirm gehabt. Er zögert. Rückfrage oder Antwort. Luz nimmt ihn ins Visier. Ich kenne diesen Blick. Der bricht Widerstände. Auch bei ihm. Rückfrage scheidet gerade aus dem Spiel aus.
In ihren Adern fließt revolutionäres katalanisches Blut.
„Das war eine Scheißzeit. Das „Mercy Seat“ stand auf der Kippe. Ich war fast pleite und dann plötzlich alleinerziehender Vater und was weiß ich noch. Ich hatte so viel um die Ohren und ich glaubte nicht, dass für mich da ernsthaft was zu erben gäbe. Außer der Hütte hatte der doch nichts. Und da war doch klar, dass das Teil die beiden Kinder kriegen würden. Und letztendlich war ich dann auch noch krank. Habe ich da was verpasst?“
Wir antworten nicht sofort. Die Spannung soll ja noch ein klein wenig bestehen bleiben. Nick sieht uns fragend an. Kati steht neben ihm. Beide schauen abwechselnd zwischen Luz und mir hin und her. Sieht ein wenig so aus, als würden sie beim Tennis zuschauen. Ich wende mich an Nick.
„Mich hüngert. Könnte ich ein Tütchen Erdnüsse bekommen?“
Ich zucke zusammen. Luz hat mich getreten.
„Waller, lass den Scheiß.“
Also lasse ich den Scheiß und lausche mit Nick und Kati den Worten von Luz. Sie erzählt von unserem Besuch bei Martina. Kurz, aber umfassend. Als sie fertig ist, herrscht Schweigen. Kati gießt vier Averna ein. Den hat sie gerade in Reichweite.
Die Gläser bimmeln. Leer. Nachfüllen. Bimmeln. Leer.
Nick sieht uns an.
„Das ändert einiges, oder?“
„Eher alles.“
Kati hat die Gläser neu gefüllt. Bimmeln. Leer.
Nick überzeugt zwei seiner Kellnerinnen, dass sie heute unbedingt noch eine Schicht schieben wollen. Draußen wird an der Tür gerüttelt. Wir haben die Zeit vergessen, es ist inzwischen schon nach sieben. Geschäftszeit.
Nick geht zur Tür und kommt mit dem Preacherman zurück.
Wir trommeln alle zusammen. Nick bestellt ein paar Bleche Pizza. Dann schmieden wir einen Plan für morgen. Wir werden die beiden entzückenden Halbgeschwister wieder besuchen.
Aber die Voraussetzungen haben sich geändert. Die sind jetzt besser. Aber nur für uns.

Das Imperium wird zurückschlagen. Mit Schmackes.

***
Am Freitag geht es weiter.

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