Donnerstag, 19. Januar 2017
16 Clan Of Xymox „Stranger“
Dienstag

Luz hat mich weggeschickt, sie will ein bisschen in Ruhe nachdenken. Also ab in die Kneipe. Ab ins „Mercy Seat“. Wohin auch sonst. Zumindest jetzt noch. Wer weiß, was wird. Es ist viel los. Erstaunlich für einen Dienstag. Viele junge Leute, auch die „Dead Drivers“ sind da. In voller Bandstärke. Drei Jungs, zwei Mädels. Wir tauschen Grüße und Blicke.
Pete hatte Durst, deshalb ist er schon hier. Jetzt stehen wir da und grübeln. Wir kommen nicht wirklich weiter, uns fällt nur äußerst wenig ein. Wir reden nicht. Ein angenehmes Schweigen unter alten Freunden. Worte um der Worte Willen würden jetzt nur stören.
Es dauert, bis Nick Zeit findet, sich kurz zu uns zu gesellen.
„Jungs, ich störe nur ungern in eure innige Andacht, aber heute war direkt nach Öffnung so ein Vogel von der WAZ hier.“
Wir starren ihn ziemlich ungläubig an. Wie kommen die Pressemenschen denn jetzt ins Spiel?
„Und was wollte der?“
„Ganz erstaunlich. Denen sind per Mail Informationen zugegangen, dass die Stadt das Gewerkschaftshaus verkaufen will und dass da Wohnungen gebaut werden sollen. Mehr hat er aber nicht rausgerückt. Woher das gekommen ist, hat er mir natürlich auch nicht gesagt.“
„Ja, und dann?“
„Dann wollte er wissen, was ich davon weiß. Dann habe ich ihm gesagt, dass ich nichts wüsste, mich aber gewundert hätte, dass die Dateien vom „Mercy Seat“ beim Ordnungsamt nicht abrufbar sind und keiner weiß warum.“
Er macht eine kurze Pause.
„Ich musste improvisieren, ich habe nicht mit so was gerechnet. Keine Ahnung, ob ich gut reagiert habe.“
Pete und ich schauen uns an und sind uns einig. Das war ein richtig guter Schachzug von ihm. Wir nicken ihm anerkennend zu. Abwarten, was die WAZ daraus macht. Nick muss zurück hinter die Theke.
Ein Typ, etwa zehn Jahre älter als wir, kommt kurz darauf durch die Tür. Er passt hier überhaupt nicht rein, ein totaler Fremdkörper. Unschlüssig bleibt er stehen.
Hinter der Theke schaut Nick Kati an und Kati schaut Nick an. Beide verdrehen die Augen. Begeisterung sieht anders aus. Man scheint sich also schon zu kennen. Mir kommt der Typ eher unbekannt vor. Ich glaube aber auch nicht, da was verpasst zu haben.
Jetzt geht er doch weiter und setzt sich an einen Tisch.
Kati und Nick sind eindeutig irritiert. Wer auch immer das ist, mit dem haben sie absolut nicht gerechnet. Nick will zu ihm, aber Kati hält ihn am Arm zurück. Sie will gehen.
Pete nimmt den Typ genauer ins Visier.
„Ich glaube, dass ist der Vogel von schräg gegenüber, der immer wieder Stress macht. Von wegen zu laut und so.“
Der Typ sitzt nicht weit von uns entfernt und hat jetzt unsere volle Aufmerksamkeit.
Kati lächelt ihn an. Sie ist jetzt total professionell. Sie fragt ihn, was er möchte.
„Ein Bier, bitte.“
„Und sonst?“
Er hebt abwehrend oder entschuldigend die Hände.
„Nichts, danke.“
Nick fängt an zu zapfen. Er hat wohl mitgehört. Anschließend tauscht er Blicke mit Kati, die auch nicht schlau aus der Nummer wird. Beide wirken ein wenig ratlos. Sie bringt ihm das Bier. Pete und ich beobachten das Geschehen. Wie Waldorf und Statler. Nur in jünger und komplett ohne Worte.
Der Typ starrt lange sein Bier an. Er ist unsicher. Dann trinkt er endlich einen Schluck.
Eine ganze Weile passiert wenig bis gar nichts. Nick und Kati machen ihren Job und werfen von Zeit zu Zeit einen Blick zu dem Typ oder auch zu uns. Der Vogel nimmt immer mal einen Schluck aus seinem Glas. Pete und ich sind immer noch im Ausguck.
Der Typ trinkt aus. Er zögert. Aber dann.
„Fräulein, noch ein Bier bitte.“
Kati schaut fassungslos zu ihm rüber. Fräulein. Das hat bestimmt noch nie jemand hier zu ihr gesagt. Pete und ich starren auf die Tischplatte. Wenn sich unsere Blicke treffen, werden wir anfangen zu brüllen. Das gilt es zu verhindern. Das darf nicht passieren. Kati öffnet den Mund, aber Nick ist schnell genug und schiebt sie ein Stück nach hinten.
Der Typ weiß gar nicht so wirklich, was er falsch gemacht. Er kommt aus einer total anderen Welt. Jetzt ist er aber hier. Bei uns. Im „Mercy Seat“. Hier werden die Kellnerinnen nicht Fräulein genannt.
Nick bringt ihm sein Bier.
„Herr Pozigalla, haben sie einen Augenblick Zeit.“
Jetzt versteinert Nick. Herr Pozigalla. So hat ihn hier so gut wie noch nie jemand angesprochen. Pete und ich sind wieder von der Tischplatte fasziniert. So viel Unterhaltung haben wir nicht erwartet. Von Kati ist außer bebenden Schultern nichts mehr zu sehen, wir hören ihr mühsam unterdrücktes Lachen sehr deutlich.
Nick ist wachsam und fordert ihn mit einer Handbewegung zum Reden auf.
„Ich bin heute nicht hier, weil ich mich beschweren will oder so. Ich bin hier, weil die beiden Männer Ihnen aufgelauert haben.“
Wir sind sofort ganz bei der Sache. Woher weiß er davon? Niemand hat groß darüber geredet. Nick bringt es hervorragend auf den Punkt.
„Woher wissen Sie davon?“
„Ich habe es gesehen.“
Er holt einen Umschlag aus seiner Jackentasche.
„Ich habe mich schon oft über die Kneipe geärgert. Und auch über Sie. Aber es geht nicht, dass jemand so hinterrücks angegriffen wird.“
Er schiebt den Umlag zu Nick.
„Ich konnte ein paar Fotos mit dem Handy machen. Das sind die Ausdrucke. Ich kenne die Männer nicht, aber man kann die ganz gut darauf erkennen. Ich mache auch eine Aussage bei der Polizei.“
„Keine Sheriffs.“
Nick hat es nicht so mit staatlichen Institutionen.
Nick nimmt den Umlag und schaut rein. Seinem Blick können wir entnehmen, dass auch wirklich das drin was, was der Typ angekündigt hat.
Der Mann bezahlt sein Bier. Er will nichts geschenkt haben. Er geht.
Wir betrachten die Bilder. Zwei Männer. Ende dreißig. Die Gesichter sind gut zu erkennen. Wir kennen sie aber nicht. Nie gesehen.
Pete zückt sein Handy und fotografiert die Bilder. Er schickt sie an alle.
Kati guckt Pete an.
„Hast du auch an die Sekretärin von dem Baumenschen gedacht?“
Pete hat die Nummer nicht. Aber Snake. Pete schreibt Snake und bekommt von ihm die Nummer. Wir nehmen noch eine Runde.
Die Gläser bimmeln.
Nick sieht nachdenklich aus. Ihm geht wohl noch was durch den Kopf. Dann kommt er damit raus.
„Vielleicht sollte ich mal mit den beiden von der Erbengemeinschaft reden. Oder eher zumindest mit einem davon, zusammen geht das bestimmt nicht.“
Die Idee ist eigentlich naheliegend. Aber so, wie die Frau vor deren Haus die beschrieben hat, könnte sich das als durchaus schwierig erweisen. Trotzdem, ein Versuch ist es wert. Nick will das dann morgen Nachmittag in Angriff nehmen und er will Luz mitnehmen. Sie kann super mit fremden Menschen. Meist lächelt sie die dabei um den Versand.
Ich rufe sie an und sie ist sofort an Bord. Sie klingt sehr aufgedreht.
Pete und ich gehen nach hinten. Wir wollen gerne noch eine Runde spielen. Zur Not auch ein Einzel, besser aber ein Doppel. Der eine Tisch ist mit vier jungen Typen besetzt, die wir noch nie hier gesehen haben. Pete kramt eine Münze aus der Hosentasche und legt diese ans Kopfende. Die Jungs gucken uns ungläubig an.
„Ihr wollt gegen uns antreten?“
„Ja, wollen wir. Der Gewinner bleibt am Tisch.“
„Nur wenn es um ein Bier geht. Zu Null sowieso.“
Wir nicken. Dann soll es so sein. Die wissen nicht, worauf sie sich einlassen. Schlimmer als Pete und mich hätte sie es eigentlich nicht treffen können. Vielleicht noch mit Snake und TomTom. Wir setzen uns in die Ecke und warten geduldig bis wir dran sind.
Dann sind wir dran und es geht ziemlich schnell. Bevor die überhaupt mitbekommen, was los ist, habe ich die ersten zwei Bälle trocken mit der Mittelreihe versenkt. Dann schiebe ich den Ball zu meinen Stürmern und lass ihn den Linksaußen mal ein Zaubertor machen. Die Jungs sehen sich an, das ist jetzt so gar nicht das, was sie erwartet haben. Die Sache ist dann schnell zu Ende. 6:0, 6:2. Die wollen dann auch schon nicht mehr. Kein Rückspiel. Keine Revanche. Sie kramen all ihr Klimpergeld zusammen.
„Jungs, lasst gut sein.“
„Nein, wir hatten große Fresse, aber es ist reichlich daneben gegangen. Da müssen wir durch.“
Sie holen uns jedem zwei Bier und hauen ab. Wir trinken in Ruhe aus. Langsam wird es Zeit zu gehen. Wir verabschieden uns und sind schon fast weg. Ein Blick in Nicks verbeuteltes Gesicht erinnert uns, dass die Zeiten vielleicht härter geworden sind.
„Rufst du uns bitte ein Taxi.“
Sicher ist sicher.

Zu Hause gibt es was auf die Ohren. The Cassandra Complex „Theomaia“. Das Album ist ein Brett. Und ein richtig hartes Brett. Das geht nur laut. Die Nachbarn dürfen mithören, auch wenn es spät ist. Luz bringt Kultur unters Volk. Mit dem Audiovorschlaghammer.
Sie ist gut drauf und strahlt.
Zum reden ist es zu laut und sie macht keine Anstalten, die Regler nach unten zu drehen. Dann lasse ich das auch. Ich setzte mich auf den Boden und lasse die verbleibenden Songs auf mich wirken.
Dann plötzliche Stille. Ende. Luz kramt im CD-Regal nach einem neuen Album. New Order „Power, Corruption & Lies“. Die geht immer. Sie dreht leiser und lächelt zufrieden. Mir geht durch den Kopf, dass sie die CD nicht nur wegen der unbestrittenen Klasse sondern auch wegen dem Titel gewählt haben könnte.
Bevor sie aber anfängt zu reden, bin erst ich dran. Sie hat bis jetzt nur die spärlichen Infos aus Petes Mail. Ich erzähle, was im „Mercy Seat“ gelaufen ist:
Sie zögert immer noch. Ich sehe sie mir genau an. Sie wirkt so, als hätte sie noch einen richtigen Knaller auf Lager. Aber da ist noch was. Sie wirkt auch so, als hätte sie vielleicht etwas angesellt. Ich denke sofort an den geklauten Ordner. Soll ich schon sicherheitshalber beginnen, mir ernsthaft Sorgen zu machen? Ich denke, ja. Zumindest ein paar.
In ihren Adern fließt revolutionäres katalanisches Blut.
Und so wie sie aussieht, brodelt dieses gerade.
„Ich habe mich bei Facebook angemeldet.“
Ich gucke sie vollkommen entsetzt an.
„Damit hast du alle unsere Ideale über Bord geworfen und alles verraten, woran wir immer geglaubt haben.“
„Waller, jetzt im Ernst. Ich denke, wir haben da bisher nicht drauf geachtet, weil wir damit meist gar nichts zu tun haben. Aber wir haben nicht bedacht, dass viele andere da eine ganze Menge machen. Die verkaufen da doch ihr Leben für ein paar virtuelle Freunde.“
Nachdenkliches Nicken, Sie hat Recht.
„Und da habe ich mir halt so ein Minimalkonto gebastelt, damit ich mal ein bisschen schnüffeln kann. Erst ist da gar nichts bei rumgekommen, aber bei diesem Carsten Schmitz, da war dann was.“
Ich hänge an ihren Lippen.
„Bei einem von seinen Freunden steht im Profil, dass er EDV-Mensch bei der Stadt ist.“
Ich hänge weiter an ihren Lippen.
„Dann habe ich von dem Typ einen Screenshot gemacht und an DreiElf geschickt. Ich dachte, das ist vielleicht sicherer und so, als das Bild direkt zu kopieren.“
Bond. Luz Bond. Die Meisterspionin. Ich küsse sie. Weil ich es darf. Weil nur ich es darf. Dann hänge ich wieder an ihren Lippen. Jetzt wieder mit dem Ohr.
„DreiElf hat dann geantwortet, dass das Tobias Klein ist. Einer von den drei Admins, die die erforderlichen Berechtigungen haben. Er will morgen im Büro mal ganz genau gucken, was so los ist und was er denn so machen kann. Er hält den Typ auch für ein absolutes Arschloch und das war auch vorher sein Kandidat Nummer 1.“
Sie strahlt mich an. Mit Recht. Ich bin wahrlich beeindruckt.
Aber da ist doch noch was. Das merke ich ganz deutlich. Also sehe ich sie fragend an. Sie blickt runter und zögert, bevor sie spricht.
„Vielleicht war das ja voreilig, aber DreiElf und ich haben seine Adresse rausgefunden. Und die habe ich an die Sprayer geschickt ...“
Voreilig oder nicht. Keine Ahnung. Reine Spekulation. Kann sein, muss aber nicht. Wenn man aus dem Kino kommt, weiß man, wie der Film war.
„Ich glaube nicht, das wir ausgerechnet dafür in die Hölle kommen werden. Aber sonst nichts?“
„Was meinst du?“
„Na ja, einen Einbrecher oder so.“
Sie lacht und schüttelt den Kopf. Ich bin erleichtert.
Ich küsse meine Gefährtin. Weil ich stolz auf sie bin. Und weil ich es darf.

Weil nur ich es darf.

***
Am Montag geht es weiter.

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