Montag, 20. Februar 2017
25 Red Lorry Yellow Lorry “Talk About The Weather”
Donnerstag

Es klopft und ich sehe hoch. Zwei Sheriffs betreten mein Büro und schließen die Tür hinter sich. Einer der beiden ist wieder mein alter Schulkollege Thorsten. Eigentlich hatte ich gehofft, den so schnell nicht wiederzusehen und erst Recht nicht in seiner Amtstracht. Heute ist er in Begleitung eins anderen Deputy.
In Erinnerung an seinen letzten Auftritt beginne ich schon nach meinem Ausweis zu kramen, aber er stoppt das mit einer Handbewegung.
„Lass gut sein. Wir kennen uns doch. Du kannst dir bestimmt denken, warum wir hier sind.“
Nein, kann ich nicht. Absolut keine Ahnung, warum die hier aufgetaucht sind. Im Prinzip gibt es keinen Grund, und wenn doch, dann gleich mehrere. So oder so, es bleibt dabei, ich kann mir nicht denken, warum die hier sind. Und das sage ich denen auch.
„Es liegt eine Anzeige gegen dich und einen Unbekannten wegen Nötigung und Androhung von Gewalt vor.“
Das hilft mir immer noch nicht entscheidend weiter. Wir hatten in den letzten Tagen anregende Gespräche mit verschiedenen Leuten.
„Die Anzeige wurde gestellt von Carsten Schmitz.“
Ausgerechnet der. Der ist auf der Kandidatenliste aber unter ganz ferner liefen eingestuft gewesen. Der ist ja nicht von uns besucht worden, wir haben uns unterhalten, weil er hier aufgelaufen ist und Gesprächsbedarf angemeldet hat. Andererseits hat er mich ja wohl schon vorher mal in die Pfanne gehauen und angeschissen. Das wird hoffentlich kein Hobby von ihm werden.
„Also geht es um den Montagnachmittag hier am Gebäude.“
„Ja, genau. Was möchtest du dazu sagen?“
Dazu möchte ich einiges sagen und das mache ich dann auch. Also erzähle ich ihnen, was da passiert ist. Zumindest das, was sie davon wissen müssen. Dass der Schmitz hier hin gekommen ist und mich in den Seitengang gedrängt hat. Und dass dann der Preacherman aufgetaucht ist und mich aus seinen Klauen gerettet hat. Mit zu vielen Details möchte ich sie auch gar nicht behelligen. Womöglich überfordert sie das dann.
„Und dein Freund ist also zufällig hier gewesen und hat dir geholfen?“
„Nein, er ist absichtlich hier gewesen. Wir waren ja verabredet. Er hat mir dann zufällig geholfen. “
So kann man das wohl ganz treffend beschreiben. Wir hatten ja nicht geplant, dass der Schmitz hier den Larry machen wird.
„Kannst du mir seinen Namen nennen, damit wir ihn als Zeugen vernehmen können?“
„Kann ich nicht, ich weiß nicht, wie er heißt. Ich kann dir nur sagen, wie wir ihn nennen. Aber wenn ihr Zeugen sucht, fragt doch mal bei denen, die ihre Büros in der Richtung da haben.“
Dabei gestikuliere ich vage zur andern Seite des Gebäudes.
„Du brauchst mir nicht zu sagen, wie wir unseren Job machen sollen, das wissen wir schon selbst. Wer ist hier der Boss, mit wem müssen wir vorher reden, wenn wir hier die Zeugen vernehmen wollen?“
Ich muss selbst kurz nachdenken, bis mir einfällt, dass ich seit Monaten hier der Interimsboss bin.
„Mit mir. Also legt einfach los.“
Die beiden marschieren ab. Ich bereite mir einen neuen Kaffee und warte einfach ab. Lange dauert es nicht, dann sind sie zurück.
„So wie es aussieht, hat der Herr Schmitz da eine haltlose Anschuldigung vorgebracht. Wir haben mit drei Leuten gesprochen und ihre Aussagen aufgenommen. Alle bestätigen, was du gesagt hast. Der Schmitz ist auf dich los und hat dich in den Gang gedrängt. Aber dann kam dieser große Mann dir zur Hilfe und danach war alles geregelt. Wenn du jetzt im Gegenzug rechtliche Schritte gegen den Herrn Schmitz einleiten willst, können wir da gerne sofort was machen.“
Will ich aber nicht und das sage ich den beiden auch. Kurz danach bin ich auch wieder allein, bis sich dann Pete zu mir gesellt.

Der Rest des Tages war grauenvoll. Erst haben Pete und ich im Büro ausgiebig gegrübelt, aber uns ist nichts eingefallen, was uns irgendwie weiter bringt. Nicht nur einfach nichts, eher so vollkommen überhaupt gar nichts. Nothing. Nada. Niente.
Unsere Judith hat uns da so in unserem Elend gesehen und sofort erahnt, dass wir ihren Beistand brauchen. Und den haben wir bekommen. Wer zu früh das Handtuch wirft, wird es später nicht wiederfinden. Das war ein Rat von ihr, der zu anderen wichtigen Erkenntnissen und Erfahrungen, die wir in unserem inzwischen nicht mehr ganz so kurzem irdischen Dasein gesammelt haben, passt. Wir haben früh gelernt, dass man immer wissen muss, wo sein Handtuch ist. Insbesondere dann, wenn man ein Frood sein will. Insbesondere dann, wenn man ein Hoopy Frood sein will. Und wenn man also zu früh sein Handtuch wirft und es anschließend womöglich nicht wiederfindet, ist es das mit Frood in- oder exklusive Hoopy gewesen. Aber wir hatten auch nicht vor, das Handtuch zu werfen, auch wenn das vielleicht auf den ersten Blick nicht so ausgesehen haben könnte.
Und die ganze Grübelei habe ich dann zuhause mit Luz noch Mal wiederholt. Mit dem gleichen Resultat. Nichts. Nothing. Nada. Niente.
Und aus den Mails und SMS, die durch den Äther und das weltweite Netz geschickt worden sind, ist auch ganz schnell klar geworden, dass der Rest in etwa die gleichen sensationellen Ergebnisse vorweisen konnte. Nichts. Nothing. Nada. Niente.
Luz hat gesagt ich soll gehen. Also nicht für immer, dafür aber jetzt sofort. Ins „Mercy Seat“. Oder sonst wohin. Auf jeden Fall weg. Und ich soll auch mindestens zwei, drei Stunden wo auch immer bleiben. Damit ich ihr nicht auf die Nerven gehe. Und sie mir auch nicht auf meine. Und sie hat Recht, wir sind beide voll unentspannt. Also rein in die Docs, den linken zuerst. Anders geht es ja nicht, wer weiß was sonst passiert. Und das rauszufinden habe ich gerade heute gar keine Lust mehr. Vielleicht ein anders Mal. An einem guten Tag.
Draußen drehe ich mir eine und stapfe los. Es ist noch früh, ich denke von uns wird keiner da sein. Keine Ahnung, ob heute überhaupt wer kommt. Abgesprochen ist nichts und ich habe auch niemanden angerufen. Aber ich habe das Handy dabei und das ist nicht immer so. Das ist eher selten so. Aber alleine bleiben will ich auf keinen Fall.
Der Preacherman steht an der Theke und lächelt mich zur Begrüßung an. Das geht zwar jetzt schon fast einen Monat so und es fällt auch auf, dass er inzwischen Übung in dieser von ihm vorher wohl lange nicht genutzten Form der nonverbalen Kommunikation hat, aber so richtig gewöhnt habe ich mich noch nicht daran. Mir geht durch den Kopf, dass wir immer noch fast nichts über ihn wissen. Ob sich da heute was ergibt? So ein intimes Gespräch unter neuen Kumpels. Das wird doch wohl eher nicht zu erwarten sein. Zumindest wenn man bei den Erwartungen realistisch auf dem im „Mercy Seat“ nicht vorhanden Teppich bleibt. Da werden wir dann wohl im Zweifel eher übers Wetter reden.
Nick steht hinter der Theke und wirkt ziemlich beschäftigt. Es ist schon recht voll für die frühe Zeit und von Kati ist nichts zu sehen. Er schiebt mir ein Bier rüber.
„Hinten im Kickerraum sind so ein paar komische Vögel. Irgendwelche Jungspunde. Habe ich hier noch nie gesehen. Sind rein gekommen und haben gleich groß getönt. Hier soll es richtige Cracks geben und die sollen sich jetzt mal zeigen. Und dann bekommen die ihre Lehrstunde.“
Das ist nicht das erste Mal. Immer wieder tauchen hier solche Gestalten auf. Immer wieder ziehen sie als geprügelte Hunde ab. Die wissen gar nicht, worauf sie sich mit uns einlassen. Erst recht nicht, wenn wir an unseren Tischen spielen.
Pete und ich haben in unserer langen, aber nicht unbedingt zielführenden akademischen Karriere trotzdem viel gelernt. Eher nicht im studentischen Sinne, eher so im allgemeinen Sinne. Für das Leben halt.
So haben wir gelernt , wie man mit einer Mark einen schönen Abend verbringen kann. Zuerst sind wir mit der Mark in die Spielhalle gegangen. Nicht in irgendeine Spielhalle, sondern in die am Bahnhof. Die war jetzt nicht schöner als andere, aber da gab es Kaffe gratis, wenn man denn irgendwas gespielt hat. Und es gab einen Automaten, den wir richtig gut konnten. Das Ding heiß „Soccerking“. An dem wollte sonst kaum einer ran, denn das Teil war total veraltet und es gab viele bessere Automaten. War ein eher einfach gehaltenes Fußballspiel, aber wenn man es richtig raus hatte, konnte man kaum verlieren. Und man konnte schön zu zweit spielen.
Das Gerät war also ganz gut zu besiegen, glaubte das aber wohl selbst nicht von sich. Die künstliche Intelligenz war nicht richtig clever. Der „Soccerking“ hat sich aber für einen König gehalten. Einen im Prinzip unschlagbaren König. Aber so sind Könige wohl immer, ob als Menschen oder als Automaten. Bei Automaten ist das nicht ganz so schlimm, aber bei den Menschen hat das schon unnötig viele Leben gekostet. Denn im Zweifelsfall wollen die Menschenkönige ja ihre Unschlagbarkeit nicht an sich selber testen. Dafür gibt es ja diese Untertanen. Die sind auch leichter im Schadensfall zu ersetzten als so ein König. Das ist zumindest dessen Meinung. Die Untertanen könnten womöglich eine andere vertreten, deshalb werden sie meist auch gar nicht erst zu so was gefragt.
Beim „Sockerking“ war es dann so, dass er nach 75 Niederlagen ein Stoppschild auf dem Bildschirm zeigte und es nur weiterging, wenn der Stecker gezogen wird. Damit war das Spiel dann aber zu Ende, ohne dass man verloren hatte. Deshalb gab es die nicht verzockte Mark zurück. Den inhalierten Kaffe durfte man aber behalten.
Mit der zurück erhaltenen Mark zogen wir dann weiter in eine Kneipe, in der um Bier gekickert wurde. Wir wussten immer wo hin, wir kannten uns aus. Dort haben wir uns dann ins Geschehen eingemischt und unsere Biere gewonnen. Und wir mussten die Biere gewinnen, weil wir ja nur diese eine Mark hatten. Wir hätten nicht bezahlen können, wir hätten unsere Ehre verloren. Und das war nun wirklich keine Option.
Und dann tauchen da solche Vögel auf, die große Klappe haben. Und nicht wissen, worauf sie sich einlassen. Wir waren damals sehr gut und sind heute noch besser. Aber mit wem soll ich spielen, außer Nick ist keiner von uns da. Ansonsten nur noch der Preacherman, aber der spielt ja wohl nicht. Ich sehe Nick fragend an, aber er schüttelt den Kopf, legt aber gleichzeitig ein paar Markstücke auf den Tisch. Die Tische sind alt, die können keine Euros.
„Ich kann nicht. Kati hat kurzfristig frei haben wollen und von den anderen Mädels konnte auf die Schnelle keine einspringen. Und ich habe doch ein weiches Herz und muss dafür jetzt richtig schuften.“
Während wir noch grinsen, greift sich der Preacherman die Markstücke und stiefelt nach hinten. Nick und ich sind gelinde gesagt leicht irritiert. Ich mache mich aber sofort auf die Verfolgung. Als ich gerade den Raum betrete, knallt der Preacherman eine von den Münzen auf die Kopfseite des Tisches.
„Ihr habt nach uns gefragt.“
Die Vögel gucken ihn so an, als hätten sie auf keinem Fall nach gerade ihm gefragt, lassen sich aber sonst nichts anmerkten. Der Preacherman lehnt sich an die Wand und verschränkt die Arme. Sieht cool aus, also stelle ich mich genauso daneben. Die Vögel habe ich noch nie gesehen, die passen hier auch gar nicht in den Laden. Mir kommt die Idee, dass Ralf Schneider die in der Hoffnung geschickt hat, ihn zu rächen. Dann durften die aber nicht reines Schlachtvieh sein und ich habe keine Ahnung, was mein Partner so kann. Ich habe keine Ahnung, ob er überhaupt was kann. Wir wissen fast nichts über den Preacherman, noch nicht mal, ob er kickern kann oder nicht. Aber zumindest das werde ich gleich aus erster Hand erfahren.
Meistens spiele ich ja im Sturm, aber ich habe das Gefühl, dass ich hier und heute besser hinten stehen sollte. Sicher ist sicher.
„Ich kann auch hinten spielen.“
„Okay, dann gehe ich nach vorne.“
Damit ist die Taktik besprochen und wir sind dran. Bevor ich zum ersten Mal den Ball berühre, hat der Preacherman die ersten drei Bälle locker versenkt. Kurz darauf haben wir 6 zu 1 gewonnen. Immer das Gleiche, einen lasse ich fast immer durch. Dann tauschen wir und gewinnen zu Null. Der Preacherman lässt nämlich keinen durch. Dann haben die auch schon genug.
„Wir hauen ab. Die verlorenen Biere zahlen wir schon mal. Könnt ihr dann in Ruhe trinken.“
Und ich gucke mir die Vögel noch mal an.
„Ihr solltet euch die Kohle vom Schneider wiederholen. Der hat euch reingelegt.“
„Das werden wir auch machen. Da kannst du dich drauf verlassen.“
Da hat Inspektor Waller Columbo doch den richtigen Riecher gehabt. Ich wende mich zum Preacherman.
„Warum spielst du nie mit uns?“
„Ich bin ein wenig eingerostet.“
Gegen Ende des Spiels haben TomTom und Snake den hinteren Raum betreten und uns zugeguckt. Snake legt eine Münze ans Kopfende.
„Und damit du wieder geschmeidig wirst, kannst du auch gleich mal da stehen bleiben.“
Und dann geht die Post ab. Der Preacherman und ich schlagen uns tapfer, aber TomTom und Snake sind zusammen eine echte Macht. Wir verlieren, aber nur knapp. Das liegt aber auch zum großen Teil an mir, ich komme heute an TomTom kaum vorbei. Der spielt großartig und macht auch mit dem Torwart das letzte Tor. Da hat er mich kalt erwischt.
Inzwischen ist es richtig voll. Fast wieder so voll wie gestern. Zumindest die Kasse klingelt im Moment ganz schön laut. Wir quatschen noch ein bisschen über dies und das, wenn auch nicht über das Wetter, und nehmen noch ein Bier.
Letzte Runde für heute. Nick bringt uns die Getränke. Die Gläser bimmeln.
Irgendwie kommt der Optimismus zurück. Wird schon werden. Wie auch immer.

Alles wird gut. Morgen. Demnächst. Irgendwann.

***
Am Freitag geht es weiter.

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