Donnerstag, 16. Februar 2017
24 The Human League “The Sign”
Mittwoch

Pete sitzt in meinem Büro und schaut mich kritisch an. Ich bin vollkommen fertig, die letzten beiden Tage hatten es aber mal wirklich in sich. Trotzdem war ich, wie verabredet, sehr zeitig da und habe unterwegs auch eine Zeitung organisiert. Die hat mich so freundlich aus einem Stapel vor einem Kiosk angeguckt und ich habe schnell in den Lokalteil geschaut. Ein Blick auf die erste Seite hat gereicht, die WAZ hat geschrieben. Die freundlich guckende Zeitung hat mich dann gebeten, sie auch gleich mitzunehmen. Wer kann da widerstehen.
Bevor wir uns die Zeitung gönnen, werfen wir einen Blick in den Blog. Aber da ist noch nichts. Kein Eintrag. Nichts. Vielleicht hat es ja dieses Mal nicht auf Anhieb geklappt. Bis jetzt ist es eigentlich fast zu reibungslos gelaufen. Wäre nicht wirklich verwunderlich, wenn es auch mal ein Problem gegeben haben sollte.
Andererseits wissen wir ja auch gar nicht sicher, ob es die Richtigen treffen würde. Es sind aber wohl auf keinen Fall die Falschen. Wir wollen das aber trotzdem gerne genau wissen. Es gibt nur noch einen, der uns da helfen kann. Der Superman der Stadtverwaltung. Der oberste Meister. Der OB.
Der hat mir seine Geheimnummer gegeben. Quasi die Nummer des Roten Telefons des Stadtoberhaupts. Die Nummer, die nur die wirklich Wichtigen und Mächtigen aus Politik und Wirtschaft haben. Die Nummer, die nur die haben, die es auch verdient haben. Und ich. Und die werde ich jetzt wählen.
Das Telefon klingelt. Das Display zeigt, dass es ein interner Anruf ist, aber die Nummer ist unterdrückt. So was habe ich noch nie gesehen, aber ich habe die mehr als vage Ahnung, dass da der dran ist, den ich eigentlich anrufen wollte. Und ich habe Recht. Er ist es. Leibhaftig. Das ist gut, denn ich merke, dass er sich an seine Worte hält. Er wollte sich kümmern und er wollte sich dann melden. Ob er sich gekümmert hat, weiß ich noch nicht, aber zumindest meldet er sich. Ich bin gespannt, was meine Lauschlappen zu hören bekommen.
Und jetzt erzählt er uns von seinem Termin mit dem Leiter des Amtes, dass für die Gebäude und Grundstücke der Stadt zuständig ist. In diesem Gespräch hat er auch erfahren, dass die ganze Sache von Herbert Stupski angeleiert worden ist. Der hat den Stein ins Rollen gebracht und der hat auch darauf hingewiesen, dass bei der Entscheidung, das Gewerkschaftshaus unter Denkmalschutz zu stellen, seinerzeit ein Fehler unterlaufen sei. Und der auch darauf aufmerksam gemacht hat, dass das alles nicht in Stein gemeißelt sondern korrigierbar sei.
„Das ist das, was ich dazu sagen kann. Ich denke, in dieser Sache ist nicht alles richtig gelaufen. Die vorgesehenen Verfahrenswege sind hier zweifelsfrei nicht eingehalten worden. Daher habe ich für nächste Woche einen Termin gemacht, in dem ich einfordern werde, die Angelegenheit genauestens zu prüfen und danach entsprechend den gültigen Vorgaben zu verfahren.“
Das hier ist Politik und nicht das wahre Leben. Das mit dem wahren Leben bekommen wir so einigermaßen hin, aber praktizierte Politik, und sei es nur auf lokaler Ebene, ist so gar nicht unser Ding. Ein für uns unbekannter Planet, auf dem wir uns nicht auskennen und nicht wissen, was man da so macht und was besser nicht. Wir lauschen den Worten ganz genau. Wir versuchen auch Botschaften zwischen den Worten zu verstehen.
„Ich denke nicht, dass das die Sache beenden wird. Zumindest nicht sofort. Es wird die Sache aber erst mal stoppen und dann auch verzögern. Wenn es später doch zum Verkauf kommen sollte, wird es eine Ausschreibung geben. Nach dem Bericht in der Zeitung von heute wird da auch intern niemand Einspruch erheben wollen. Das wäre politischer Selbstmord.“
Den Bericht haben wir noch nicht gelesen. Scheint aber interessant zu werden. Wir versuchen auch weiterhin insbesondere die Botschaften zwischen den Worten zu verstehen.
„Und bei einer Ausschreibung kann dann jeder sein Gebot abgegeben. Sie verstehen? Jeder.“
Wir glauben zu versehen. Jeder. Also auch Nick. Oder wir. Wir wissen aber nicht, wie das gehen soll.
„Es könnte auch Interessenten mit anderen Konzepten für das Haus geben. Investoren, die einen Erhalt des Gebäudes anstreben. Mit einer sinnvollen Nutzung.“
Jetzt schweigt er. Er hat seine Botschaften gesendet. Wir haben empfangen und hoffentlich auch richtig decodiert. Leider steht uns dazu keine Enigma zur Verfügung, wir müssen mit purem Gehirnschmalz auskommen.
„Bieten Sie uns ihre Hilfe an?“
„Nein, das kann ich in meiner Position so nicht machen, aber falls Sie anfragen, könnte es sein, das ich vermitteln und Kontakte herstellen kann.“
Pete und ich bleiben nachdenklich zurück. Das war jetzt ein Ausflug in die Lokalpolitik. Wirklich gar nicht unser Ding. Absolut nicht.
Und so sitzen wir da und lesen schön in Ruhe den Bericht in der Zeitung. Es lohnt sich wirklich. Die WAZ hat gute Arbeit geleistet. Wir haben ihr eine schöne Vorlage gegeben, sie hat diese sauber verwandelt. Wir haben keine wirkliche Ahnung davon, aber es liest sich wie gute journalistische Arbeit. Deshalb hat das auch etwas länger gedauert. Die wollten wohl keinen Schnellschuss, da wollte jemand eine einwandfreie Recherche abliefern. Und das ist gelungen. Zweifelsfrei.
TomTom hat die Dokumente aus dem Ordner sorgsam ausgewählt. Und die haben die intensiv studiert und sich danach auch noch Gedanken gemacht. Bis sie ein Ergebnis hatten. Ein gutes Ergebnis. Und auch eine Story, die interessiert. Dann haben sie den Seelmann damit konfrontiert. Der wollte sich wohl zuerst gar nicht dazu äußern, hat es dann aber doch getan. Aber einfach nur dementierten und keinen weiteren Kommentar abgeben, ist nicht immer hilfreich. Damit kommt er nicht weit. Die Stadtverwaltung ist aber auch nicht besser, auch von dort kommt keine brauchbare Darstellung. Die WAZ bezieht in ihrem Bericht und den Kommentaren dazu eindeutig Stellung. Und sie ist nicht auf Seiten von Seelmann und der Verwaltung.
Pete und ich schauen uns zufrieden an. Der Bericht in der WAZ und die Worte des OB, gehen in die gleiche Richtung. Die Sache kann nicht mehr heimlich, still und leise abgewickelt werden.
Danach besuchen wir erneut den Blog. Zwei neue Einträge. Wie erwartet. Wir sind nur zu ungeduldig gewesen. Die sind so verlässlich und professionell, das ist kaum zu glauben. Die kleinen Zweifel vorhin sind verfrüht gewesen, die haben die beiden Zeichen in der Nacht gesprayt. Der erste Eintrag wird angeklickt und die Seite öffnet sich. Dauert etwas, sind wohl recht viele Bilder und die Leitung der Stadt ist eher dünn.
Das erste Bild zeigt uns einen Bungalow. Wir sehen, wie ein schönes, großes VOD auf einem Garagentor entsteht. In Schwarz. In Schablonenschrift. Und wir sehen dann noch eine Haustür. Mit einem Namensschild. Gerd Wolsch. Darunter ein kleines VOD. In Schwarz. In Schablonenschrift. Alles wie es sein soll. Perfekt wie immer.
Es gibt aber noch mehr Bilder darunter. Seltsam, eigentlich ist doch hier schon alles dazu gezeigt. Was kommt jetzt noch? Wir sind überrascht. Ein anders Haus ist jetzt zu sehen. Dort entseht der VOD-Schrifzug direkt auf der Hauswand. In Schwarz. In Schablonenschrift. Und auf der Haustür ist ebenfalls ein Namenschild. Anne und Herbert Stupski. Darunter ein kleiner VOD-Schriftzug. In Schwarz. In Schablonenschrift. Alles wie es sein soll. Perfekt wie immer.
Pete kann ich die Überraschung ansehen. Er mir bestimmt umgekehrt auch. Also schauen wir uns gegenseitig irritiert an. So haben wir das jetzt gerade nicht erwartet. Was ist denn dann im zweiten Eintrag?
Wir klicken den anderen Eintrag an und sehen im Prinzip nichts. Wir sehen zwar ein Foto, können aber nichts erkennen. Schwarzer Adler auf schwarzem Grund. Mit viel Wohlwollen könnte man sagen, dass es sich um ein Gebäude handelt. Kann, muss aber nicht. Pete zuckt die Achseln. Mehr kann ich auch nicht beitragen. Auch sonst gibt es da nichts. Kein Wort, kein Link. Nur das eine Bild. Wir schließen den Browser.
Da fällt mir was ein, was ich Pete schon seit ein paar Tagen fragen will.
„Wer ist eigentlich deine Quelle, die sagen kann, ob der OB im Haus ist oder nicht?“
„Andrea Fuchs.“
Ich werde hellhörig. Ich werde immer hellhörig, wenn Pete Frauen erwähnt. Ich habe eine ungefähre Ahnung, was jetzt kommt. Nicht von den eigentlichen Worten, sondern von der Message. Und er enttäuscht mich nicht, als er weiter spricht.
„Mit der war ich in der Ausbildung. Die ist jetzt im Vorzimmer von einem der Bonzen im 4.OG und ist da nicht wirklich glücklich. Aber die hat Zugriff auf alle Kalender im Netz.“
So ist es immer. Pete und die Frauen. Keine interessiert ihn. Für ihn gibt es immer noch nur Eve. Die war mehr als fünf Jahre weg und gestern läuft sie bei uns durch die Stadt. Soll ich ihm sagen, dass ich sie gesehen habe oder besser nicht? Die Frage stelle ich mir schon den ganzen Morgen über. Und ich weiß immer noch keine Antwort. Als wenn im Moment nicht eh alles kompliziert genug wäre. Ich verschiebe die Entscheidung auf später. Manchmal muss man ganz einfach auch zukunftsorientiert denken und handeln.
Petes Handy klingelt. Er hält es so, dass ich auch sehen kann, dass Stefanie anruft. Sie klingt total aufgeregt und redet nahezu komplett ohne Satzzeichen. Nicht nur ohne Punkt und Komma. Dazu irgendwie auch ohne Leerzeichen. In einem Höllentempo. Unsere Ohren können kaum Anschluss halten.
„Der Seelmann tobt wie ein wilder Stier, sieht dabei aber bei weitem nicht so gut aus wie Robert De Niro. Ich dachte vorhin, der platzt und wir haben eine Riesensauerei. Der hat den Bericht in der WAZ gelesen und sieht seine Felle davon schwimmen. Der ist richtig steil gegangen.“
Und so geht es auch weiter. Ohne Satzzeichen. Ohne Leerzeichen. Unseren Ohren droht ein Wortoverflow.
„Und als dann noch die Sache mit der anderen Hütte dazu kam, ist es noch weiter eskaliert. Und ich hätte gedacht, der wäre vorher schon am Anschlag gewesen. War er aber noch nicht. Da ging dann noch mehr. Dann ist er wutschnaubend abgerauscht. Keine Ahnung wohin, aber Hauptsache weg.“
Wir warten kurz, aber es ist keine Pause, sondern sie hat gesagt, was sie sagen wollte. Pete und ich schauen uns ratlos an.
„Welche andere Hütte?“
„Habt ihr noch nicht in den Blog geguckt? Den zweiten Eintrag von heute?“
Und wie wir haben, hat aber vorhin nichts gebracht. Es gab ja nichts zu sehen. Ich rufe den Eintrag erneut auf. Er hat sich verändert. Es gibt jetzt ein paar mehr Bilder, die zwar immer noch recht dunkel sind, aber man kann ein paar Gestalten sehen, die auf einem Gerüst unterwegs sind und Spraydosen dabei haben.
Ganz untern ein Link zu Youtube. Pete und ich schauen uns das Video sofort an. Wir sehen ein Haus, das mit einer Plane abgedeckt ist. Daneben steht ein kleiner Transporter. Als dieser losfährt, wird die Plane quasi abgerissen. Das Auto bleibt sofort stehen. Wer auch immer steigt aus und stellt fest, dass da ein Seil befestigt war. Das Ganze war so präpariert, dass die Plane nur sehr leicht befestigt war. Und jetzt liegt sie unten im Dreck.
Die spektakuläre Enthüllung bringt ein spektakuläres Ergebnis ans Tageslicht. Wir sehen ein recht großes Haus, das aber noch nicht komplett fertig ist. Auf der Fassade ist zwar das Styropor für die Dämmung bereits drauf, aber mehr auch nicht. Zumindest bis gestern. Seit heute Nacht ist das anders. Da steht jetzt WE WILL NEVER SURRENDER und darunter VOD. Schön groß. Wirklich groß. Nicht nur nicht klein. Alles in Schwarz. Alles in Schablonenschrift. So wie es sich gehört. Perfekt wie immer.
„Das war gerade noch nicht da. Sehr beeindruckend. Und was hat das jetzt mit Seelmann zu tun?“
„Ach ja, das wisst ihr bestimmt nicht. Das ist eines seiner beiden zuletzt fehlgeschlagenen Projekte. Da gab es Stress und sein Partner hat sich ausgeklinkt. Und von der Sparkasse hat er kein Geld bekommen, um das alleine zu Ende zu bringen. Das ist ein ziemlicher Flop, an dem er schwer zu knabbern hat.“
Nach dem Gespräch runzeln wir beide die Stirn und gucken uns an. Weitere Aktionen sollten folgen, so war es in der WAZ angekündigt. Da kann man dann auch nicht kneifen. Das ist wohl die erste davon und die ist alles andere als schlecht. Wir denken beide das Gleiche. Da wird die Tante ihrem Neffen aber hilfreich unter die Arme gegriffen haben, damit das alles richtig gut läuft.
Sie ist eine Frau von Ehre.

Es ist Mittwoch. Mittwochs sind wir immer da. Schon immer. Aber heute sind auch viele andere dort. So voll ist es in der Woche selten. Der Bericht in der WAZ ist wie eine kostenlose Werbekampagne für das „Mercy Seat“. Das hat sich nach dem ersten Artikel schon angedeutet, aber der von heute hat es noch gesteigert.
Luz und ich müssen uns quasi zu den unseren beiden Stehtischen durchkämpfen. So ein Gedränge herrscht selbst am Wochenende selten. Nick und Kati haben sich noch eine Kellnerin als Verstärkung organisieren können, um überhaupt einigermaßen klar zu kommen.
Siouxsie, Betty, Zeus, Snake, TomTom und Pete sind schon da. Ich schaue mich um. Es sind auch einige da, die wir von früher kennen, die aber nur noch ganz selten oder eigentlich gar nicht mehr kommen. Einige sind mir vollkommen fremd. Andere sind hier vollkommen falsch und fühlen sich selbst auch so. Die werden auch nicht lange bleiben und auch nicht wiederkommen. Der Captain und der Preacherman kommen auch gerade rein.
Kati bringt uns Getränke. Die Gläser bimmeln.
Als ich Eumel und seine Bandkolleginnen und Kollegen sehe, winke ich denen zu und orientiere mich in deren Richtung, aber gleichzeitig schaue ich auch Snake an. Der versteht auch sofort, was ich von ihm will, und steht gleich neben mir.
„Ich weiß nicht mehr als gestern. Meine Eltern und die Silke habe ich unter irgendwelchen Vorwänden angerufen, aber die haben nicht den Eindruck gemacht, als hätten sie irgendwie etwas mitbekommen. Danach habe ich noch mit zwei, drei anderen telefoniert. Alles negativ. Nichts. Keine Ahnung.“
Nachdenklich setze ich meinen kurzen Weg zu den „Dead Drivers“ fort. Mir gefällt die Sache mit Eve nicht. Nicht nur ein bisschen nicht sondern ganz und gar nicht. Ich mache mir Sorgen. Insbesondere um Pete.
Dann habe ich die Ecke, in der die Musikanten lungern, erreicht und geselle mich zu ihnen. Wir reden ein weinig über Musik im Allgemeinen und Besonderen, über deren letzten Auftritt und über deren nächsten Gig. Wir reden nicht über Coverversionen von Crass und wir reden auch nicht über Botschaften in Schablonenschrift.
Zumindest so lange nicht, bis ich mit Eumel ein klein wenig abseits stehe. Und auch dann nicht unbedingt direkt. Eher indirekt. Eher vollkommen drum herum.
„Du musst ja ganz schön müde sein nach gestern.“
Er sieht mich unbewegt an. Als hätte er keine Ahnung, worauf ich hinaus will.
„Sehe ich so aus oder wie kommst du drauf?“
Dann zwinkert er mir zu und grinst mich breit an. Natürlich weiß er genau, was ich meine, aber er will nicht darüber reden. Er zieht die Aktion dem Wort vor. Das ist sein gutes Recht, also akzeptiere ich das auch. Und zwinkere zurück. Dann quatschen wir noch ein bisschen über dies und das und anderes, bevor ich zurück zu meinen Leuten gehe.
Nach und nach leert es sich dann doch und es kehrt etwas mehr Ruhe ein. Wird auch Zeit, denn wir wollen noch ungestört ein wenig miteinander plaudern. Aber dazu ist es noch immer zu voll. Wir ziehen uns deshalb in den hinteren Raum zurück und spielen eine Runde. Doch die Konzentration ist nicht richtig da und wir sind ganz froh, als wir den Raum dann für uns haben.
Nick bringt neue Getränke und bleibt auch gleich da. Die beiden Mädels haben vorne inzwischen alles im Griff. Die Gläser bimmeln.
Alle haben den Bericht der WAZ gelesen, alle haben in den Blog geguckt. Pete und ich erzählen von dem Gesprächen mit dem OB und Stefanie. Kurz danach ist auch alles andere von allen anderen erzählt und alle schauen TomTom an. TomTom ist clever, er kann schnell denken
Aber auch schnelles Denken kann manchmal etwas länger dauern, wenn es viel zu denken gibt. Und viel zu denken gibt es nun wirklich und deshalb dauert auch das schnelle Denken seine Zeit. TomTom bläst erst die Wangen auf und lässt dann die Luft raus. Das macht er selten. Eher fast nie. Das ist kein gutes Zeichen. Das macht er, wenn er nicht richtig weiter weiß.
„Ich weiß auch nicht so richtig.“
Sein Denkergebnis scheint somit zunächst recht übersichtlich. Wir haben uns insgeheim doch mehr erhofft, aber eigentlich genau das befürchtet. Es dauert noch einen Augenblick bis er fortfährt.
„So wie es aussieht, ist jetzt so aktuell ja Ruhe. Aber wohl nur jetzt, nicht endgültig. Über kurz oder lang wird das wieder losgehen. Der Seelmann ist scharf auf den Deal und die Stadt hätte gerne die Kohle. Die Stadt würde die aber auch von jedem anderen nehmen. Aber jetzt mal im Ernst, ich kann mir nun gar nicht vorstellen, wie wir da mit irgendeinem sogenannten Investor in einem Boot sitzen und in die gleiche Richtung rudern.“
Bei den letzten Worten schiebt er den Ärmel seines Shirts hoch, so dass wir alle sein Che Guevara Tattoo auf dem Oberarm sehen können. Wir nicken. Auch wir können uns das nicht wirklich vorstellen. Mal so gar nicht. Kein Stück.
TomTom ist jetzt warmgelaufen. Nach einer kurzen Pause ergreift er wieder das Wort.
„Eigentlich hat sich also nichts geändert. Der Schlüssel sind immer noch die beiden Erben. Die müssen in dem bestehenden Vertrag bleiben und dann ist das Thema vom Tisch. Aber ich habe keine Ahnung, was passieren muss, damit die ihre Meinung ändern. Möchtest du vielleicht noch einmal mit denen reden und an deren guten Kern appellieren?“
Dabei schaut er zu Luz und grinst sie an. Sie verzieht das Gesicht und schüttelt den Kopf. Das möchte sie wohl derzeit eher nicht.
„Mit denen reden würde ich schon noch einmal gerne. Aber unter andern Vorzeichen. Unter Vorzeichen, die für uns besser sind.“
Dabei lächelt sie. Aber sehr kalt. So kalt, dass mir ein wenig fröstelt, obwohl es eigentlich hier recht warm ist.
„War ja nur eine Idee. Die war schon echt schlecht, aber die einzige, die ich habe. Keine Ahnung, was mir machen sollen oder können. Ich glaube, wir haben überall angesetzt, wo wir ansetzten konnten. Aber es hat wohl noch nicht gereicht.“
Er zuckt mir den Schultern und guckt in die Runde. Die Runde zuckt mit den Schultern und guckt zurück. Wie immer hat TomTom das alles wunderbar auf den Punkt gebracht. Leider ist das Ergebnis alles andere als wunderbar. Ganz im Gegenteil.
Luz geht raus und kommt kurz danach mit einem Bogen Papier, der sonst zur Ankündigung von Veranstaltungen genutzt wird, und einem Edding zurück. Auf die Rückseite schreibt sie WE WILL NEVER SURRENDER!. In Schwarz. In Schablonenschrift.
In ihren Adern fließt revolutionäres katalanisches Blut.
Dann hängt sie das Plakat zu den andern an die Wand neben dem Eingang.

So soll es sein. Avanti Popolo!

***
Am Montag geht es weiter.

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