Montag, 6. Februar 2017
21 Stiff Little Fingers “I Don’t Like You”
Sonntag

Draußen ist es so neblig, dass man kaum feststellen kann, was für ein Wetter eigentlich ist. Wir sind dann doch ganz froh, als wir unser Ziel erreichen. Es wäre echt cleverer gewesen, den Fiat zu nehmen. In der „Bergmannsklause“ waren wir noch nie. Und falls ich mich gefragt haben sollte, warum, bekomme ich die Antwort mit dem ersten Blick durch das Fenster sofort serviert. Wir waren da noch nie, weil das genau die Art von Laden ist, in die wir nicht gehen. Da stimmt nichts, weder das Ambiente noch die Gäste. Aber die Pflicht ruft und wir hören ihr zu. Und wir gehorchen ihr auch.
Wir mussten uns schlau machen, wann denn so Fußball läuft, damit wir unseren Aufmarschplan erstellen können. Wir wollen in drei Gruppen aufkreuzen, wobei Gruppe 3 zuletzt kommt und eine Ein-Mann-Gruppe bestehend aus ausschließlich Zeus ist. Gruppe 1 hat den Anfang gemacht und wir haben Siouxsie und den Preacherman bereits durch das Fenster gesehen.
Jetzt entern auch Luz und ich die edlen Räumlichkeiten und blicken uns neugierig um. Die anwesenden Gäste und das Personal mustern uns mehr verächtlich als kritisch. Noch mehr solche eigenartigen Gestalten, die hier nicht hingehören. Allerdings geben weder die beiden noch wir zu erkennen, dass wir womöglich zusammengehören könnten. Und so suchen wir uns einen Platz in einer anderen Ecke.
Wir bestellen uns zwei Bier und bekommen die sogar recht schnell. Zuerst haben wir noch überlegt, einen Zwanziger auf den Tisch zu legen, damit klar ist, dass uns der Umgang mit hiesigem Geld durchaus vertraut ist. Am Tisch neben Siouxsie und dem Preacherman sitzt im Moment niemand, aber es gibt halbvolle Gläser und irgendwelchen Kram. Wenn alles so ist, wie wir es gerne hätten, sitzt da Ralf Schneider.
Der steht mit drei anderen Gestalten am Kicker und sieht auch noch genauso aus, wir vor ein paar Tagen vor dem Puff. Und er führt das große Wort. Schon wieder so ein unangenehmes Großmaul. Ich kann den auf den ersten Blick nicht leiden. Der Typ guckt mich auch noch an.
„Ey, du bist doch der, über den sie gestern in der Zeitung geschrieben haben.“
Ein wenig verwundert, dass er lesen kann, bin ich doch. Vielleicht hat es ihm aber auch seine Frau vorgelesen. Weiß ich aber nicht, ich war ja nicht dabei. Ehe ich mich entscheiden kann, ob ich etwas dazu erwidern möchte oder doch eher nicht, haut Luz schon was raus. Offenkundig kann sie den Typ wohl auch nicht so richtig leiden.
„Über dich werden sie erst schreiben, wenn du es in die Todesanzeigen schaffst.“
In ihren Adern fließt revolutionäres katalanisches Blut.
Im Hintergrund ist das Lachen von Siouxsie gut zu hören. Auch seine drei Spielkameraden können sich nicht vollständig beherrschen, obwohl sie sich ganz dolle Mühe geben. Das passt ihm natürlich gar nicht in den Kram und er blafft sie harsch an, dass hier gespielt und nicht gelabert, geschweige denn gelacht, wird.
Ich lasse mich von der fröhlichen Atmosphäre anstecken und möchte auch etwas beisteuern. Daher schlendere ich ganz locker quer durch die Kneipe und lege eine Münze ans Kopfende vom Tisch.
„Gewinner bleibt, so lange er will.“
Die goldene Regel. Schon immer. Und überall. Niemand, der am Tisch was auf sich hält, kommt aus der Nummer raus. Eine Frage der Ehre.
Die vier gucken mich überrascht an. Das hatten sie nicht auf dem Plan. Hier ist ihr Revier. Hier sind sie wer. Wer auch immer. Sie wissen aber auch, dass sie keine Wahl haben. Eine Frage der Ehre halt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Schneider mustert mich.
„Du hast doch gar keinen Partner oder willst du etwa mit dem Mädchen spielen?“
Ja, genau das will ich. Und das mach ich denen dann auch klar. In einfachen Worten und kurzen Sätzen, damit sie mich auch verstehen. Offenkundig scheinen die das irgendwie total lustig zu finden.
Kurz danach hat sich der Schneider mit seinem Partner durchgesetzt und wir sind dran. Er guckt Luz an.
„Kein Windmühlenrennen, Mädchen.“
„Du meinst bestimmt ohne drehen, oder?“
Dabei lächelt sie ihn an. So charmant wie ein Raubtier seine lecker aussehende Beute hungrig anlächelt kurz bevor es zuschnappt. Schneider merkt das nicht, wahrscheinlich merkt er meistens nicht viel.
„Du bist aber ganz schön helle.“
„Deshalb nennt man mich auch Luz.“
Das verseht er mal so gar nicht. Er ist vielleicht vieles oder zumindest das ein oder andere oder wenigstens irgendwas. Aber auf keinen Fall sonderlich helle. Viel Licht ist da nicht. Es gibt hellere Kerzen auf der Torte. Und davon nicht wenige.
Luz blinkt mich an. So ein bisschen verschlagen von der Seite. Ich verstehe sofort. Sie will die Arschlochnummer. Eigentlich eine Spezialität von Pete und mir als Duett, aber ich kann die auch als Solonummer. Und ich kann die gut. Nahezu perfekt. Und ich verspüre auch gleich Lust, die jetzt mit diesen Typen durchzuziehen. Luz wird mir assistieren. Und das mit Begeisterung.
„Wo möchtest du denn spielen. Vorne oder hinten?“
Luz zögert erst und wackelt ein bisschen mit dem Kopf. Der Kumpel vom Schneider macht den Eindruck, als befürchte er, dass das eventuell anders laufen könnte, als die sich das vorstellen. Vielleicht erinnert er sich aber auch gerade daran, schon mal irgendwann irgendwo gegen mich gespielt zu haben.
„Ach, ich glaube, ich nehme die wenigen Puppen. Ich freu mich, wir haben schon lange nicht mehr geflippert oder wie das hier heißt.“
So nehmen wir Aufstellung. Auf der einen Seite wir. Luz in der Abwehr, ich im Sturm. Auf der anderen Seite der Feind. Schneider hinten, sein Kumpel vorne.
„Auf zwei Sätze um ein Bier. Zu Null sowieso.“
Luz tut so, als würde sie nicht verstehen, um was es geht. Ich nicke mit sorgenvoller Miene. Schneider grinst. Scheinbar hat er Durst. Er wittert leichte Getränkebeute. Dabei fällt ihm aber nicht auf, aus welcher Richtung der Wind weht.
Ich lasse den ersten Ball einrollen. Das Gefälle ist nicht auf unserer Seite. Macht aber nichts, denn mein Schräggegenüber ist, wie fast alle, nicht gut mit der linken Hand. Seinen Schussversuch blocke ich und schiebe den Ball sofort zum linken Stürmer. Ein kurzes Gewackel und der Ball schlägt in der langen Ecke ein. Beim nächsten Ball zeige ich, dass auch der andere Außenstürmer weiß, wie so was geht.
Den dritten Ball spiele ich zum Mittelstürmer. Wie fast alle anderen auch, hat der gegnerische Stürmer schon jetzt die Mittelreiche hochgedreht, damit er auf keinen Fall seinem Kumpel im Weg steht. Zeit für etwas Arschlochnummer.
Ich habe die Hände nur locker auf den Griffen aufliegen und schaue den Typen an.
„Du musst die Mittelreihe runterdrehen.“
Er sieht mich irritiert an. Auf Gespräche und Tipps während des Spiels ist er nicht vorbereitet.
„Und du musst immer auf den Tisch gucken. Sonst verpasst du womöglich was.“
Er guckt mich immer noch irritiert an. Dann geht die Post ab, Ich packe die Griffe blitzschnell wieder fest an. Mit dem Mittelstürmer lege ich den Ball nach hinten und hämmere ihn mit Mittelreihe zum Drei Null in den Kasten. Ich bin auch mit der linken Hand gut. In den gegnerischen Reihen entsteht erste Unruhe. Die weiteren Gäste werden aufmerksam.
Den vierten Ball spiele ich erneut zum Mittelstürmer. Als er richtig liegt, gucke ich zu der Bedienung rüber.
„Darf ich hier drinnen rauchen oder muss ich raus gehen?“
Gleichzeitig mach ich ohne hinzugucken eine schnelle Bewegung mit der rechten Hand. Tor vier für uns. Ich gucke die beiden auf der andern Seite an.
„Passt ihr nicht auf?“
Das Personal hinterm Tresen erinnert sich an meine Frage und antwortet sogar im mehr oder weiniger ganzen Satz.
„Rauchen ist vor der Tür. Schon mal was von Rauchverbot gehört?“
Den nächsten Ball habe ich vorne links und spiele dann nach hinten zu Luz. Soll sie auch mal was tun. Sie ballert zwar nicht ganz so heftig, aber gut Dampf ist schon drin. Und sie ist unglaublich präzise. Ich postiere meine Figuren so, dass sie ihr nicht im Weg stehen, drehe sie aber nicht hoch. Zack. Schnelles ziehen. Schuss. Tor. Unterwegs nichts berührt. Sauber.
„Ralf, die verscheißern uns.“
Da hat er nicht unrecht. Das weiß auch Ralf. Aber was soll er machen. Es ist ein Frage der Ehre. Nicht mehr und nicht weniger. Und eine Frage von ein paar verlorenen Getränken. Bevor der nächste Ball einrollt, gucke ich Luz an.
„Du kannst ruhig schon rüber gehen.“
Sie nickt und schiebt die Stangen weg und umrundet den Tisch halb. Hinter dem Tor der anderen bleibt sie stehen und geht in die Hocke.
Der Ball rollt und ich blocke die gegnerische Mittelreihe. Der Ball liegt am Mittelstürmer.
„Wohin? Links oder rechts?“
„Von dir aus in die linke Ecke.“
Ihr Wunsch ist mir Befehl. Linke Ecke. Sechs Null.
Das zweite Spiel verläuft wortlos. Wir teilen uns die Tore. Jeder drei. Immer abwechselnd. Zwischendurch lässt Luz einen bei uns reingehen. So dass es nicht ganz offensichtlich ist, aber auch so, dass klar ist, dass das mit Absicht war.
Danach gehen uns auch schon die Gegner aus und wir setzten uns wieder. Die gewonnenen vier Bier werden geliefert. Bevor auch nur im Ansatz Langeweile aufkommen kann, geht die Tür auf und Zeus kommt rein. Und wir sehen allen an, was sie denken. Noch so ein Typ. Zeus beachtet uns natürlich nicht, sondern steuert direkt auf Ralf zu, der ihn auch erkennt.
„Alter, was führt dich hierher?“
„Ich würde gerne mit dir reden, besser aber so unter vier Augen, denke ich.“
„Was willst du denn? Wir haben uns ewig nicht gesehen und jetzt kommst du mir so?“
„Mag sein, dass du mich ewig nicht gesehen hast, aber ich dich neulich schon. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag. So gegen halb zwei.“
Okay, das stimmt zwar nicht ganz. Er hat ihn da ja gar nicht gesehen, sondern Pete und ich haben ihn gesehen. Aber wir wussten ja gar nicht, wen wir gesehen haben. Aber das weiß der Schneider ja nicht. Geht ihn eigentlich auch nichts an.
Aber wir können seinem Gesichtsausdruck entnehmen, dass er weiß, wo er denn gesehen worden ist. Weiterhin steht auf seiner Stirn geschrieben, dass das doch mal nicht an die große Glocke gehängt werden soll. Und auch nicht an irgendeine andere Glocke egal welchen Formats.
Zeus sieht sich um. Er sucht einen günstigen Platz, von dem aus entweder Siouxsie und der Preacherman oder Luz und ich mithören können. Es gibt im Prinzip nur eine Möglichkeit und die ist ein Stück links von uns. Da setzten die zwei sich dann auch hin.
Zunächst plänkeln die beiden ein wenig miteinander, um die Lage zu checken. Der Schneider will erst vorsichtig sicher gehen, dass es wirklich um seinen Besuch im Puff geht. Danach will er rauskriegen, wie er das Schlimmste verhindern kann.
„Und was willst du jetzt von mir? Mich erpressen?“
„Jetzt gerade nicht, vielleicht später. Und wenn es nur die ausstehenden Gehälter von damals bringt.“
Das scheint dem Schneider jetzt tatsächlich peinlich zu sein. Zumindest ein wenig.
„Aber jetzt kannst du mir mal mindestens zwei, drei Fragen beantworten. Was bekomme ich, wenn ich erst 3000 quasi anzahle und dann hinterher noch mal 350 nachlegen muss?“
„Hör mal, das ist nicht meine Preiskategorie.“
„Denk trotzdem mal nach. Du hat doch bestimmt mal auf die Liste mit den Sonderangeboten geguckt. Du weißt schon. Sale. Alles muss raus. Oder in diesem Fall wohl eher rein.“
Jetzt denkt er tatsächlich. Mann kann das sehen. Die Stirn bewegt sich.
„Also, ich glaube, mir fällt da nur diese Doppelnummer ein. Zwei Mädels nach freier Wahl, die alles machen, für die ganze Nacht. Kostet glaube ich 3000. Und die 350 könnten dann für die Drinks sein.“
Zeus nickt. Luz und ich auch. Nur wir bewegen uns dabei nicht. Nur in einem Paralleluniversum. Im hier und jetzt ist davon nichts zu sehen.
„War von Donnerstag auf Freitag einer da, der diese Doppelnummer gemacht hat?“
Jetzt denkt er wieder. Mann kann das sehen. Die Stirn bewegt sich erneut.
„Ja, ich glaube schon.“
„Kennst du den?“
Jetzt denkt er richtig intensiv. Mann kann das sehen. Die Stirn bewegt sich ganz heftig.
„Okay, Ralf. Du kennst ihn. Denk drüber nach, ob du es mir sagst oder nicht. Denk aber auch dran, dass es ein Bild von dir vor dem Puff gibt. Und denk dran, was passieren könnte, wenn deine Frau das sieht. Und denk dran, das ich vielleicht noch mehr Bilder von Besuchern habe, bevor du mir einen Namen gibst, nur um einen Namen zu nennen. Schreib mir gleich deine Nummer auf. Ich rufe dich an. Verlass dich drauf. Andere Frage. Meinst du, dass der das selber gezahlt hat oder hat das jemand für ihn übernommen?“
Jetzt denkt er schon wieder. Mann kann das sehen. Die Stirn bewegt sich wieder.
„Ich denke, das könnte jemand bezahlt haben. Das ist eine Menge Kohle und ich glaube nicht, dass der es so dicke hat. Aber wer oder warum, weiß ich nicht.“
„Du kannst ja noch mal drüber nachdenken. Wir müssen ja eh noch einmal reden.“
Zeus trinkt sein Bier aus. Er hat genug, er will wieder weg. Schneider macht eine Kopfbewegung in unsere Richtung und dann auch zu Siouxsie und dem Preacherman rüber.
„Diese anderen Gestalten, die hier heute plötzlich aufgetaucht sind, gehören die irgendwie zu dir?“
Die Frage bleibt so mitten in der Kneipe stehen und wartet. Zeus kümmert sich nicht um sie. Wir wollen damit auch nichts zu schaffen haben. Als er zur Theke gehen will, meldet sich der Schneider noch mal.
„Lass stecken, geht auf meinen Deckel.“
Zeus legt drei Euro auf die Theke.
„Nein. Danke. Besser nicht.“
Die Kneipentür fällt hinter Zeus ins Schloss. Er hat einen echt guten Abgang hingelegt. Schneider sitzt immer noch an dem Tisch und fragt sich, was hier eigentlich für eine Film läuft. Und wer darin welche Rolle spielt. Und welche Rolle er womöglich spielt. Ins Drehbuch durfte er bisher keinen Blick werfen. Er guckt Siouxsie und den Preacherman an. Die beiden gucken ausdruckslos zurück. Danach guckt er Luz und mich an. Wir beide gucken ausdruckslos zurück. Wir lassen ihn mit seinem Problem, ob die Gestalten jetzt zu Zeus gehören oder wogmöglich neue störenden Stammgäste sind, alleine. Getrennt brechen wir kurz danach auch die Zelte ab.

Zurück in unsere Welt.

***
Am Freitag geht es weiter.

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